Aktuelle Rechtsprechung
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Zum Thema Arbeitsrecht
- "AGG-Hopper": Diskriminierungsklage als Geschäftsmodell vor BAG gescheitert
- Der Bewerber hatte zwar geschrieben, dass er sich einen Umzug zum Arbeitsort vorstellen könne. Das hatte er aber auch in einer Vielzahl von anderen Bewerbungen in ganz Deutschland behauptet. Weil der Bewerber zudem nichts dazu sagte, wie er die neue Stelle mit seinem Vollzeitstudium vereinbaren wolle, waren Zweifel an der Bereitschaft berechtigt, die Stelle tatsächlich anzutreten.
- Art und Inhalt der Bewerbung wiesen keinen Bezug zur Branche oder zum Geschäft des Arbeitgebers auf, gingen nicht auf die in der Stellenausschreibung geforderten Qualifikationen ein und enthielten Rechtschreibfehler.
- Es fehlten aussagekräftige Unterlagen wie Zeugnisse und ein chronologischer Lebenslauf. Der Arbeitgeber konnte daher überhaupt nicht beurteilen, ob der Bewerber für die ausgeschriebene Stelle geeignet war. Der Arbeitgeber hatte Urteilsdatenbanken durchforstet und dabei festgestellt, dass der Bewerber sich seit Jahren immer wieder auf nur für Frauen ausgeschriebene Stellen beworben und Entschädigungen eingeklagt hatte. Allein in Berlin waren innerhalb von 15 Monaten elf Verfahren anhängig. Dabei optimierte er seine Bewerbungen im Hinblick auf die Rechtsprechung im Sinne erfolgreicher Entschädigungsklagen, ohne sie jedoch inhaltlich zu verbessern.
- Arbeitszeiterfassung für Hausangestellte: EuGH erlaubt Ausnahme nur, wenn Einhaltung der Höchstarbeitszeit anderweitig garantiert werde
- Ausländische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Arbeitnehmer trifft volle Darlegungs- und Beweislast als Voraussetzung für Entgeltanspruch
- Ende vom Homeoffice: Rechtmäßige Anordnung der Vor-Ort-Präsenz setzt sachliches Interesse des Arbeitgebers voraus
- Leiharbeitnehmer als Streikbrecher: Klage einer Gewerkschaft scheitert an Formfehlern
Manche Kandidaten bewerben sich nicht aus Interesse an der ausgeschriebenen Stelle, sondern weil sie eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) einklagen wollen. Doch damit hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der folgenden Entscheidung nun Schluss gemacht.
Ein 30-jähriger Industriekaufmann bewarb sich Anfang 2023 über die Bewerberplattform Indeed auf eine Stelle als "Bürokauffrau/Sekretärin" bei einer Ingenieurgesellschaft in etwa 170 km Entfernung von seinem Wohnort. Er gab an, sieben Jahre Erfahrung als Sekretär und in den Microsoft-Office-Anwendungen zu haben - jedoch ohne konkrete zeitliche Angaben und Nachweise zur Ausbildung und zu eventuellen Vorbeschäftigungen. Zur Zeit der Bewerbung absolvierte er in Vollzeit ein Fernstudium in Wirtschaftsrecht. Nachdem er keine Antwort erhielt und die Stellenanzeige gelöscht worden war, verklagte der Bewerber den Arbeitgeber auf mindestens 6.000 EUR Entschädigung. Er behauptete, als Mann unzulässig benachteiligt worden zu sein, weil sich die Stellenausschreibung ausschließlich an Frauen gerichtet habe. Der Arbeitgeber hielt die Forderung für unberechtigt, weil die Bewerbung missbräuchlich erfolgt sei. Dem Bewerber sei es lediglich um die Entschädigung und nicht um die Stelle gegangen.
Das BAG meinte zwar, der Arbeitgeber habe mit seiner nicht geschlechtsneutralen Stellenausschreibung durchaus ein Indiz für eine unzulässige Diskriminierung von Männern geliefert. Normalerweise hätte er daher beweisen müssen, dass die Nichtberücksichtigung des klagenden Bewerbers nichts mit dessen Geschlecht zu tun hatte, um eine Entschädigungszahlung zu vermeiden. Letzten Endes kam es aber auf eine Diskriminierung durch den Arbeitgeber nicht an, weil die Bewerbung von vornherein rechtsmissbräuchlich war. Der Bewerber ging daher leer aus. Drei Indizien sprachen laut BAG für einen Rechtsmissbrauch:
Diese systematische Vorgehensweise machte den Rechtsmissbrauch offensichtlich, so dass die Klage des Bewerbers scheiterte.
Hinweis: Das AGG ist ein wichtiger Baustein, um Diskriminierungen zu verhindern, und schafft die Grundlage für ein gerechteres Miteinander. Menschen, die dieses Gesetz ausnutzen möchten, unterfallen aber nicht seinem Schutz.
Quelle: BAG, Urt. v. 19.09.2024 - 8 AZR 21/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2025)
Wer in seinem Betrieb noch keine Arbeitszeiterfassung installiert hat, sollte sich hierüber schnell konkrete Gedanken machen. Die folgende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu einer in Spanien beschäftigten Hausangestellten zeigt, dass allen Angestellten in der EU die Möglichkeit gegeben werden muss, ihre geleisteten Arbeitsstunden nachverfolgen und eventuelle Überstunden geltend machen zu können.
In Spanien sind bestimmte Arbeitgeber - darunter Privathaushalte - von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung befreit. Als eine in Vollzeit beschäftigte Hausangestellte die Bezahlung von Überstunden erhalten wollte, scheiterte sie mit ihrer Forderung in der gerichtlich ersten Instanz, weil sie die Überstunden schlichtweg nicht nachweisen konnte. Die zweite Instanz bezweifelte daher, dass die Befreiung der Arbeitszeiterfassung mit EU-Recht vereinbar sei, und befragte hierzu den EuGH.
Der EuGH urteilte, dass nationale Regelungen zwar Ausnahmen von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vorsehen können - beispielsweise wegen der Größe des Arbeitgebers oder dessen Tätigkeitsbereichs. Dies gelte aber nur, wenn gewährleistet werde, dass die betroffenen Mitarbeiter die wöchentliche Höchstarbeitszeit nicht überschreiten. Die hier infrage stehende spanische Regelung sei daher europarechtswidrig, denn sie nehme Hausangestellten die Möglichkeit, objektiv und zuverlässig festzustellen, wie viele Stunden sie wann tatsächlich geleistet haben. Der EuGH wies interessanterweise zudem darauf hin, dass der überwiegende Anteil von Hausangestellten Frauen sei, so dass hier auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegen könne.
Hinweis: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung trifft nach der Rechtsprechung praktisch jeden Arbeitgeber. Verstöße können Entschädigungsklagen wegen unzulässiger Diskriminierung nach sich ziehen. Gibt es in einem Betrieb noch immer keine Arbeitszeiterfassung, ist dieses Urteil die Aufforderung, nun endlich tätig zu werden und nicht erst auf den Gesetzgeber zu warten, nur weil es gesetzlich noch keine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gibt.
Quelle: EuGH, Urt. v. 19.12.2024 - C-531/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2025)
Meist dient der Urlaub der Erholung. Oft aber kann er kränker machen, als man es vor Urlaubsantritt war. Doch Vorsicht vor einer "Urlaubsverlängerung auf Krankenschein". Denn mit der folgenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus Tunesien hatte selbst der Arbeitnehmer, den man in Sachen "krank aus dem Urlaub zurück" als Wiederholungstäter beschreiben kann, nicht gerechnet.
Der Lagerarbeiter hatte sich bei seinem Arbeitgeber in den Jahren 2017, 2019 und 2022 jeweils im Anschluss an einen mehrwöchigen Urlaubsaufenthalt in Tunesien arbeitsunfähig gemeldet. Im Jahr 2022 teilte er seinem Arbeitgeber seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit mit E-Mail vom 07.09.2022 mit - zwei Tage vor dem geplanten Urlaubsende. Er fügte der E-Mail das in französischer Sprache gehaltene Attest eines tunesischen Arztes bei. Demnach litt der Lagerarbeiter unter "schweren Ischialbeschwerden im engen Lendenwirbelsäulenkanal". Die Verordnung sagte zudem aus, dass er 24 Tage strenge häusliche Ruhe bis zum 30.09.2022 benötige. Während dieser Zeit dürfe der Mann laut Attest auch nicht reisen. Dennoch buchte der Arbeitnehmer einen Tag nach dem Arztbesuch am 08.09.2022 ein Fährticket für den 29.09.2022. An dem Tag trat er dann auch tatsächlich die Rückreise mit dem Pkw an. Der Arbeitgeber verweigerte eine Anerkennung der tunesischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Deshalb lehnte er auch eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab. Der Arbeitnehmer verlangte daraufhin vor dem Arbeitsgericht die volle Bezahlung für den Monat September 2022 - die Sache ging bis vor das BAG.
Das Gericht urteilte, dass grundsätzlich der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hoch sei - auch aus einem Nicht-EU-Ausland. Maßgeblich sei dabei, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterscheidet. Genau hier hatte das BAG Zweifel und sah den Beweiswert der Bescheinigung als erschüttert an. Es bemängelte, dass das vorinstanzliche Landesarbeitsgericht keine Gesamtwürdigung der tatsächlichen Umstände vorgenommen hatte. Eine solche führte nun dazu, dass erhebliche Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit bestanden. Diese hielt das BAG vor allem deshalb für angemessen, da sich der Lagerarbeiter auch nach vorherigen Auslandsaufenthalten arbeitsunfähig krankgemeldet hatte. Zudem hatte er seine Rückreise nachweislich bereits einen Tag vor Ablauf des Reiseverbots angetreten, die Rückreise darüber hinaus bereits kurz nach dem Besuch beim Arzt in Tunesien gebucht. Das BAG entschied daher, dass der Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltanspruch nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz trage. Deshalb erhielt der Arbeitnehmer kein Geld.
Hinweis: Legt ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus dem Ausland vor, sollten stets die Gesamtumstände genau analysiert werden. Der Fall des BAG zeigt, dass Mitarbeiter, die sich immer wieder im Ausland krankschreiben lassen, schon allein deshalb bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leer ausgehen können.
Quelle: BAG, Urt. v. 15.01.2025 - 5 AZR 284/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2025)
Was während der Corona-Pandemie noch als Zukunftsmodell der Arbeit gepriesen wurde, legt zunehmend den Rückwärtsgang ein: Arbeit im Homeoffice. Doch so einfach, wie es sich die Unternehmen oft vorstellen, ist der Weg zurück in die Vor-Ort-Präsenz nicht. So musste sich das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) mit der Frage beschäftigen, wann und unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer zurückbeordern kann.
Der betreffende Projektmanager arbeitete seit 2017 für seine Arbeitgeberin, ein Planungs- und Projektmanagementbüro für die Autozulieferindustrie. Er entwickelte jeweils projektbezogen nach den konkreten Anforderungen der einzelnen Kunden Industrielösungen entlang der gesamten Prozesskette - und zwar zu 80 % aus dem Homeoffice oder bei den Kunden des Autozulieferers. Nach seinem Arbeitsvertrag bezog sich sein Einsatzort je nach Projekt auf die gesamte Unternehmensgruppe, die von verschiedenen deutschen Standorten aus operierte. Dann entschied sich die Arbeitgeberin, den Standort des Unternehmens zu schließen, an dem der Arbeitnehmer grundsätzlich beschäftigt war. Sie versetzte ihn an einen 500 km entfernten Arbeitsplatz und widerrief die Erlaubnis, im Homeoffice zu arbeiten. Zugleich kündigte sie vorsorglich das Arbeitsverhältnis - verbunden mit dem Angebot, es zu geänderten Arbeitsbedingungen am neuen Standort fortzusetzen.
Das wollte sich der Arbeitnehmer nicht gefallen lassen und erhob eine Kündigungsschutzklage sowie eine Klage gegen die Versetzung. Insbesondere berief er sich darauf, dass die Arbeitgeberin statt der Änderungskündigung als milderes Mittel jedenfalls das Angebot eines Homeofficearbeitsplatzes hätte anbieten müssen.
Das sah das LAG nicht anders: Sowohl die Versetzung als auch die hilfsweise ausgesprochene Änderungskündigung waren unwirksam. Das Gericht wies darauf hin, dass die Arbeitgeberin bei der Erteilung von Weisungen wie der Streichung des Homeoffice billiges Ermessen zu berücksichtigen habe. Sie hätte demnach die berechtigten Belange des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen müssen. Und hier überwogen die Interessen des Arbeitnehmers. Das LAG wies ferner darauf hin, dass es ein überwiegendes sachliches Interesse der Arbeitgeberin benötige, um eine Versetzung aus dem Homeoffice von einem Ort, wo der Arbeitnehmer familiär, logistisch im Freundeskreis und in der Kultur verortet ist, in ein 500 km entferntes Büro durchsetzen zu können. Das hielt das Gericht hier nicht für gegeben. Zwar sei die Versetzung wegen der Betriebsschließung notwendig gewesen. Das galt jedoch nach Ansicht des Gerichts nicht für den Widerruf der Homeofficeerlaubnis.
Hinweis: Es ist also nicht immer einfach, per Direktionsrecht einen Arbeitnehmer zurück in den Betrieb zu versetzen. Denn stets ist eine Interessenabwägung vorzunehmen.
Quelle: LAG Köln, Urt. v. 11.07.2024 - 6 Sa 579/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2025)
Dass das Arbeitsgericht Köln (ArbG) die Klage einer Gewerkschaft abgewiesen hat, lag an formalen Gründen. Wie ein Urteil jedoch ausfiele, wenn es weder formale Mängel gegeben hätte noch unkonkrete Klageanträge gestellt worden wären, ist Kern dieses Falls. Denn dieses Urteil wäre womöglich zuungunsten für die beklagte Arbeitgeberin ausgefallen, die im Streikfall auf Leiharbeiter zurückgegriffen hatte.
Eine Verlagsgesellschaft beschäftigte neben der Stammbelegschaft von ca. 680 Arbeitnehmern regelmäßig eine größere Zahl von Leiharbeitnehmern. Als die Gewerkschaft einen Haus- und einen Gehaltstarifvertrag durchsetzen wollte, kam es in den vergangenen zwölf Monaten regelmäßig zu Streiks. Um ihren Betrieb dennoch aufrechterhalten zu können, hatte die Arbeitgeberin auf die damit aufkommenden Personalausfälle während der Arbeitskampfmaßnahmen mit dem Einsatz von Leiharbeitnehmern reagiert. Das wollte sich die Gewerkschaft nicht bieten lassen. Sie wollte der Arbeitgeberin durch das ArbG in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes untersagen lassen, im bestreikten Betrieb Leiharbeitnehmer zu beschäftigen. Das begründete sie mit der Verbotsregelung in § 11 Abs. 5 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Demnach darf der Entleiher Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen, wenn sein Betrieb unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen ist. Dieses Verbot gelte nur dann nicht, wenn sichergestellt sei, dass durch die Leiharbeitnehmer weder unmittelbar noch mittelbar Tätigkeiten von Streikenden übernommen werden. Die Gewerkschaft berief sich hier darauf, dass die Organisation der Arbeitgeberin keine strikte Trennung zwischen den Aufgaben der Stammbelegschaft und denen der Leiharbeitnehmer zuließ.
Das ArbG wies die Klage jedoch als unzulässig ab - die Gründe dafür waren allerdings formale Mängel und insbesondere die zu unbestimmten Klageanträge. Das Gericht betonte in seiner Entscheidung jedoch, dass der Gewerkschaft auf Grundlage des § 11 Abs. 5 AÜG grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch zustehen kann, wies in diesem Zusammenhang aber auch darauf hin, dass dies durchaus umstritten sei.
Hinweis: Gegen die Entscheidung kann Berufung eingelegt werden, was sehr wahrscheinlich ist.
Quelle: ArbG Köln, Urt. v. 13.12.2024 - 19 Ga 86/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2025)
Zum Thema Verkehrsrecht
- Fehlende Rechtsgrundlage: Fahrradstraße scheitert wegen fehlenden Nachweises zur Gefahrenlage des Straßenverkehrs
- Gefahren statt geschoben: Geschwänzte MPU nach Trunkenheitsfahrt auf Pedelec zieht Entzug der Fahrerlaubnis nach sich
- Rückwirkungsverbot nach Verlust? Verwaltungsgericht lehnt Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Führerscheins ab
- Tanken vor Arbeitsbeginn: LSG schließt Schutz der Wegeunfallversicherung aus
- Zeitungen ausgeliefert: Im eingeschränkten Haltverbot darf zum Be- und Entladen länger als drei Minuten geparkt werden
Dass Bürger nicht einfach Schilder aufstellen dürfen - auch keine mit augenscheinlichem Allgemeinnutzen -, war bereits des Öfteren Thema vor den Gerichten. Dass aber auch Kommunen diesbezüglich nicht schalten und walten dürfen, wie es ihnen sinnvoll erscheint, war Kern dieses Falls, den das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (VG) bewerten musste.
In einem innerstädtischen Bereich ordnete die Kommune die Einrichtung einer Fahrradstraße sowie ein Abbiegeverbot an. Dagegen setzte sich ein anliegender Gewerbebetrieb zur Wehr. Dessen Geschäftsführer war der Ansicht, dass eine entsprechende Anordnung nur erfolgen dürfe, wenn sich der Grund aus den besonderen örtlichen Verhältnissen ergebe. Dies sei hier nicht der Fall. Es wurde daher im Eilverfahren beantragt, die aufschiebende Wirkung des Einspruchs wiederherzustellen.
Das VG gab dem Antrag statt. Der Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung setzt eine konkrete Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs voraus. Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind zudem nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich sei. Wenn sich die Straßenverkehrsbehörde für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheide, sei sie vor Erlass zur Prüfung der objektiven Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verpflichtet. Gemessen hieran ist hier jedoch eine objektive Gefahrenlage für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs von der Kommune nicht im Ansatz dargelegt worden. Eine Ausübung ihres Ermessens zu Fragen der Sicherheit des Straßenverkehrs für die verkehrsregelnde Anordnung ist im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht erkennbar. Vielmehr scheint es vorrangig darum gegangen zu sein, den "deutlich zu vielen Autoverkehr" irgendwie zu beschränken, um die Attraktivität und Aufenthaltsqualität der betroffenen Straße zu steigern. Es wurde daher keine ausreichende Rechtsgrundlage dargelegt, und auch die Ermessensausübung war fehlerhaft. Daher war die Anordnung aufzuheben.
Hinweis: Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen dürfen nur dort angeordnet werden, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. "Zwingend erforderlich" ist ein Verkehrszeichen nur dann, wenn es die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche und allein in Betracht kommende Maßnahme ist.
Quelle: VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 08.11.2024 - 14 L 1721/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2025)
Wer die als "Idiotentest" verschriene Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) nach Aufforderung nicht beibringt, muss mit den entsprechenden Konsequenzen leben. Sich darauf zu berufen, dass die Behörde irre, weil alles anders sei, als es den Anschein erwecke, und deswegen der Entzug der Fahrerlaubnis nicht rechtens sei, ist meist zum Scheitern verurteilt - wie auch hier vor dem Verwaltungsgericht Köln (VG).
Ein Fahrradfahrer wurde neben seinem Pedelec liegend auf der Fahrbahn gefunden. Es wurde eine Blutalkoholkontrolle gemacht, die 2,02 ‰ ergab. Der Vorgang wurde daraufhin von der Polizei an die Fahrerlaubnisbehörde weitergegeben, die eine MPU anordnete. Als diese nicht beigebracht wurde, wurde der Sofortvollzug der Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet. Gegen diese Anordnung legte der Betroffene Rechtsmittel ein und forderte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Er argumentierte, dass er das Fahrrad geschoben und kein Fahrzeug geführt habe.
Der Antrag wurde vom VG jedoch abgewiesen. Der Antragsgegner, die die MPU anordnende Fahrerlaubnisbehörde, durfte die Beibringung des Gutachtens anordnen. Denn hiermit sollte folgende Frage geklärt werden: Ist zu erwarten, dass der Antragsteller zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird und/oder als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorliegen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs in Frage stellen? Die Voraussetzungen für eine Fahrerlaubnisentziehung waren erfüllt. Denn ungeeignet ist derjenige, der die notwendigen körperlichen oder geistigen Voraussetzungen nicht erfüllt. Demnach darf die Fahrerlaubnisbehörde also auf die Nichteignung eines Betroffenen schließen, wenn dieser ein von ihr zur Aufklärung von Eignungszweifeln gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Das setzt allerdings voraus, dass die Anordnung der Gutachtenbeibringung rechtmäßig ist. Zwar habe niemand tatsächlich gesehen, dass der Mann auch auf seinem Pedelec gefahren sei - aufgrund der Situation, in der er vorgefunden wurde, sei aber davon auszugehen, dass dem so war. Hierfür sprachen die erlittenen Verletzungen, die Spuren an Rad, Helm und Handschuh, die Blutflecken auf der Straße sowie das Ergebnis der Blutuntersuchung. Die vorzunehmende Interessenabwägung durch die Behörde habe daher zu Recht ergeben, dass davon auszugehen sei, dass der Betroffene das Fahrzeug geführt hatte.
Hinweis: Der Begriff des Führens eines Fahrzeugs im Sinne des hier einschlägigen § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c Fahrerlaubnis-Verordnung deckt sich mit dem des § 316 Strafgesetzbuch und des § 24a Straßenverkehrsgesetz (jeweils Trunkenheitsfahrt). Selbst wer auf einem rollenden Fahrrad sitzt, führt es. Nur das Schieben eines Fahrrads erfüllt nicht den Begriff des Führens.
Quelle: VG Köln, Beschl. v. 14.11.2024 - 6 L 1821/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2025)
Dieser Fall steht unter dem Motto "Erst kleckern, dann klotzen": Den verlorenen Führerschein vier Monate suchen, bevor ein Ersatzdokument beantragt wird, obwohl bereits der neuere Kartenführerschein hätte beantragt sein müssen? Und dann meinen, dass die jetzt übliche 15-Jahresbefristung durch ein Rückwirkungsverbot nicht greife? Diese Argumentationskette war ein Fall für das Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG). Und das sah die Sache klarer, als sie scheint.
Ein Autofahrer hatte seinen Führerschein verloren. Daraufhin beantragte er einen neuen Führerschein. Auf diesen Antrag hin wurde ihm 2023 statt des Papierformats ein Kartenführerschein ausgestellt. Dieser Führerschein wurde auf das Jahr 2038, also auf 15 Jahre, befristet. Gegen diese Befristung setzte sich der Betroffene zur Wehr. Die nachträgliche Befristung eines ursprünglich vor dem 19.01.2013 ausgestellten Führerscheins verletze das Rückwirkungsverbot. Durch die Befristung bestünde die Gefahr, sich bei der Fahrerlaubnisbehörde vorstellen zu müssen, die bei dieser Gelegenheit bei aufkommenden Zweifeln an der Fahreignung ordnungsrechtliche Maßnahmen anordnen könnte.
Der Antrag wurde durch das VG zurückgewiesen. Dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Ausstellung eines Führerscheins ohne Gültigkeitsdauer stehe unter anderem der Einwand von Treu und Glauben entgegen. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob auch ein Ersatzdokument befristet ausgestellt werden dürfe, stelle sich nur, weil er seiner Verpflichtung nicht nachgekommen war, bis zum 19.01.2023 seinen alten Papierführerschein in einen Kartenführerschein umzutauschen. Hätte er sich "fahrerlaubnisverordnungskonform" verhalten, wäre ihm spätestens mit Ablauf des 19.01.2023 ein Kartenführerschein ausgestellt worden, dessen Gültigkeit nach Maßgabe des § 24a Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnis-Verordnung auf 15 Jahre zu befristen gewesen wäre. Gänzlich unglaubhaft ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger rund vier Monate lang seinen Führerschein gesucht haben will, bevor er einen Ersatzführerschein beantragte. Es sei einer Suche zwar eine gewisse Dauer zuzubilligen, dass der Kläger hierfür aber Monate aufgewendet haben soll, ist in keiner Weise nachvollziehbar und wurde von ihm zudem auch nicht näher plausibilisiert. Es ist damit vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger nach Verstreichen des Stichtags am 19.01.2023 seinen Führerschein verloren und daraufhin den "Antrag auf Umstellung in einen Kartenführerschein" gestellt hat. Sich in so einem Kontext auf ein Rückwirkungsverbot zu berufen, ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben.
Hinweis: Die in der Richtlinie 2006/126/EG verankerte begrenzte Gültigkeitsdauer für Führscheine zielt auf die Verringerung von Betrugsmöglichkeiten ab. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn unterschiedslos alle Führerscheine erfasst werden und nicht zwischen Führerscheinen und Ersatzdokumenten unterschieden wird.
Quelle: VG Karlsruhe, Urt. v. 31.10.2024 - 12 K 2977/23
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(aus: Ausgabe 03/2025)
Bei welchen Vorgängen es sich auf den Wegen zur Arbeit und zurück um private, für die Wegezurücklegung nicht erforderliche Verrichtungen handelt, ist oft Dreh- und Angelpunkt bei Verkehrsfällen, die vor den Sozialgerichten landen. In diesem Fall war das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) damit betraut, herauszufinden, ob die Fahrtunterbrechung zum Betanken von der Wegeunfallversicherung abgedeckt ist oder eben nicht.
Die Klägerin wollte von ihrem Wohnort mit dem Motorrad zu ihrer etwa 18 km entfernten Ausbildungsstätte fahren, zuvor aber noch ihr Motorrad an einer in entgegengesetzter Richtung gelegenen Tankstelle betanken. Noch vor Erreichen der Tankstelle musste sie einem ihr die Vorfahrt nehmenden Pkw ausweichen. Die Klägerin stürzte und zog sich eine Knie- und Unterschenkelprellung zu, so dass sie mehrere Wochen arbeitsunfähig war. Nachdem die beklagte Berufsgenossenschaft als zuständige Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt hatte und auch der Widerspruch der Klägerin erfolglos blieb, wandte sich die Frau an das Sozialgericht Karlsruhe (SG). Die Klägerin machte geltend, erst beim Anfahren festgestellt zu haben, dass der im Tank vorhandene Kraftstoff nicht ausreichen würde, um die Arbeitsstelle zu erreichen. Erstmals im Klageverfahren gab sie dazu an, sie habe nicht gewusst, dass ihr Bruder am Vorabend des Unfalls das Motorrad noch benutzt und so viel Kraftstoff verbraucht hatte, dass der Rest nicht mehr zur Fahrt zur Arbeitsstelle ausgereicht hätte. Die Notwendigkeit einer Betankung sei daher für die Klägerin unvorhersehbar gewesen, so dass dies ausnahmsweise zu einer Einbeziehung in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung führe. Das Zurücklegen des Weges - "auch" zur Tankstelle - sei eine Vorbereitungshandlung zum Erreichen der Arbeitsstätte.
Sowohl das SG als auch das LSG hielten die Klage jedoch für unbegründet. Beim Tanken handele es sich um eine rein privatwirtschaftliche Verrichtung, die nicht unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung stehe. Denn der Unfall habe sich nicht auf dem unmittelbaren Weg zur Arbeit ereignet, sondern zu einem Zeitpunkt, an dem die Klägerin in die entgegengesetzte Richtung fuhr. Dass die Klägerin erst beim Anlassen des Motorrads die - aufgrund der Fahrt ihres Bruders - nicht mehr ausreichende Tankfüllung bemerkt habe, begründe zwar einen außergewöhnlichen Umstand, der mit einem Benzindiebstahl vergleichbar sei - dieser führe jedoch nicht zu einer anderen Entscheidung. Es konnte nämlich nicht positiv festgestellt werden, dass die Tankfüllung tatsächlich nicht ausreichend gewesen wäre, die Arbeitsstelle zu erreichen. Doch selbst, wenn diese Behauptung stimme, liege es unter Risiko- und Einflusssphärengesichtspunkten allein bei der Versicherten, etwaige Fahrzeugnutzungen in geeigneter Weise zu unterbinden - noch dazu innerhalb der Familie.
Hinweis: Maßgebliches Kriterium für einen Wegeunfall ist es, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende sogenannte Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des unmittelbaren Wegs darauf gerichtet ist, die versicherte Tätigkeit aufzunehmen oder nach deren Beendigung in den Privatbereich (das ist im typischen Fall die eigene Wohnung) zurückzukehren. Unterbricht die versicherte Person den grundsätzlich versicherten Hin- oder Rückweg, um eine private, für die Wegezurücklegung nicht erforderliche Verrichtung vorzunehmen, ist währenddessen kein Versicherungsschutz gegeben, sobald es am ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit fehlt.
Quelle: LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.09.2024 - L 10 U 3706/21
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(aus: Ausgabe 03/2025)
Eine Frage wie aus einer Quizshow: Wie lange darf im eingeschränkten Haltverbot (ja, so heißt es formaljuristisch wirklich) gehalten oder gar geparkt werden? Die beiden gegnerischen Teams waren hier ein klagender Zeitungskurier und die städtische Verkehrsbehörde, der Spielleiter das Amtsgericht Hamburg (AG) und der "unabhängige Experte" schlicht und ergreifend: die Straßenverkehrsordnung (StVO).
Ein Autofahrer stellte sein Fahrzeug in einem eingeschränkten Haltverbot für rund acht Minuten ab, um Zeitungen an Abonnementkunden auszuliefern. Als er zu seinem Fahrzeug zurückkehrte, hatte er bereits ein Verwarngeld von 55 EUR verhängt bekommen. Er legte Einspruch ein und verwies darauf, dass er be- und entladen habe, was schließlich auch im Haltverbot erlaubt sei. Die Behörde jedoch bestand auf die Zahlung, denn ihrer Meinung nach sei ein Abstellen von mehr als drei Minuten unzulässig.
Das AG sprach den Betroffenen frei, denn nach dessen Ansicht dürfe zum Be- und Entladen auch in einem eingeschränkten Haltverbot geparkt werden. In der StVO (Lfd. Nr. 63 Anlage 2) ist definiert, dass das Halten länger als drei Minuten verboten ist - ausgenommen ist ein Anhalten zum Ein- oder Aussteigen oder zum Be- und Entladen. Diese Ausnahme unterliege keiner zeitlichen Einschränkung, weshalb zum Zweck der Ladetätigkeit auch geparkt werden darf. Zu diesem Zweck darf die Grenze von drei Minuten überschritten und das Fahrzeug verlassen werden. Es seien dabei keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die "Ladegeschäfte" - hier also die Zeitungsauslieferung - mit Verzögerung durchgeführt worden wären.
Hinweis: Eine Sonderstellung nimmt das eingeschränkte Haltverbot nach Zeichen 286 (Lfd. Nr. 63 Anlage 2 StVO) ein: Es erlaubt zeitlich über drei Minuten hinausgehendes, zweckbestimmtes Halten, ohne dass hierfür die Regeln des Parkens anwendbar werden. Eine Zeitgrenze für das Be- und Entladen besteht nicht. Auch das Beladen eines Möbeltransportfahrzeugs mit Umzugsgut ist ein Beladen.
Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 27.09.2024 - 249 OWi 97/24
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(aus: Ausgabe 03/2025)
Zum Thema Sonstiges
- 10.000 EUR Hinterbliebenengeld: Insolvenzschuldner hat als Hinterbliebener eines Mordopfers Anspruch auf Prozesskostenhilfe
- Außergewöhnliche Umstände: Verzögerung wegen Fluglotsenstreiks sind aus Gesamtverspätung zeitlich herauszurechnen
- Betrug durch "Enkeltrick": Widerruf bei Echtzeitüberweisungen nur bis zur Freigabe bei der Bank möglich
- Entschädigungsanspruch: Verlegung eines Flugs um mehr als 24 Stunden kommt Annullierung gleich
- Vorgegaukelter Prozessgewinn: Falschinformationen führen zu Schadensersatzansprüchen gegenüber Anwaltssozietät
Wer einer getöteten Person nahestand, kann unter Umständen ein Hinterbliebenengeld verlangen. Das gilt selbst dann, wenn dem Hinterbliebenen von dem erstrittenen Geld womöglich nichts verbleibt. In diesem Fall befasste sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit dem Anrecht auf Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Klage des Sohns gegen den Mörder seiner Mutter. Antragsteller war hier der Insolvenzverwalter des Hinterbliebenen.
Die Mutter eines Manns war erschossen worden, und zwar von dessen Stiefvater. Dann geriet der Sohn der Getöteten in Insolvenz, woraufhin der Insolvenzverwalter vom Mörder eine Geldentschädigung verlangte. Nachdem das erstinstanzliche Landgericht die Klage abgewiesen hatte, gewährte das OLG nun PKH für das Berufungsverfahren, soweit ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 10.000 EUR verfolgt wird.
Der Insolvenzschuldner - der Sohn der Ermordeten - habe nach Ansicht des OLG Anspruch auf Zahlung eines sogenannten Hinterbliebenengeldes. Danach kann der Hinterbliebene, der zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das ihm zugefügte seelische Leid eine angemessene finanzielle Entschädigung verlangen. Ein solcher Anspruch setze neben der Haftung des Schädigers lediglich ein Näheverhältnis voraus, das zwischen der getöteten Person und - wie hier - dessen Kind vermutet wird. Die gesetzliche Vermutung dieses Näheverhältnisses hatte der verurteilte Mörder hier auch nicht widerlegt. Deshalb wurde PKH bewilligt, und der Insolvenzverwalter wird für den Sohn vermutlich die Klage gewinnen.
Hinweis: Natürlich wird es in solchen Fällen schwer, von dem Mörder, der unter Umständen noch in einer Strafvollzugsanstalt sitzt, das Geld zu bekommen. Andererseits kann sich der Straftäter nicht durch ein Insolvenzverfahren der Zahlung entziehen.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 21.11.2024 - 3 U 103/24
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 03/2025)
Bei der schnellen Betrachtung von Entscheidungen zu Fluggastrechten kann der Eindruck entstehen, dass man als Passagier im Fall einer Verspätung oder Annullierung Klagen eigentlich nur gewinnen kann. Doch weit gefehlt, denn dass auch Fluggesellschaften bei der Einhaltung zugesagter Flugzeiten manchmal machtlos sind, findet vor den Gerichten ebenfalls Berücksichtigung - so wie bei dieser Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken (LG).
Eine Frau hatte einen Flug gebucht, der um 10:25 Uhr sein Ziel erreichen sollte. Tatsächlich kam es aufgrund eines Fluglotsenstreiks und aufgrund weiterer Umstände zu einer Verspätung von insgesamt drei Stunden und 59 Minuten. Dabei war dem Streik ein Anteil der Verspätung von einer Stunde und 49 Minuten zuzurechnen. Das mag kleinlich klingen, denn am Ende waren es ja insgesamt knapp vier Stunden Verspätung. Doch an dem Ausgang des Verfahrens ändert diese Aufrechnung alles. Denn sie trug Schuld daran, dass die Passagierin die begehrte Ausgleichszahlung nicht erhielt.
In den Augen des LG hatte die Fluggesellschaft durchaus alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die Verspätung zu verhindern. Daher war die aufgrund der Streikmaßnahmen entstandene Verzögerung aus der Gesamtzeit herauszurechnen - womit eine Verspätung von zwei Stunden und zehn Minuten verblieb, die der Gesellschaft anzurechnen sei. Aber: Eine Verspätung von unter drei Stunden gilt nicht als große Verspätung und führt daher auch nicht zu einem Ausgleichsanspruch. Deswegen hat die Frau die Klage verloren.
Hinweis: Wer Ausgleichszahlungen aufgrund der Verspätung oder des Ausfalls eines Fliegers haben möchte, kann den Rechtsanwalt seines Vertrauens fragen. Wichtig ist stets, die Beweise zu sichern, insbesondere, welche Verspätung genau aufgetreten ist.
Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 10.10.2024 - 13 S 20/24
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 03/2025)
Das Landgericht Frankenthal (LG) hat kürzlich ein Urteil über einen Rückzahlungsanspruch nach einer Sofortüberweisung gefällt. Geklagt hatte ein Ehepaar, das einem sogenannten Enkeltrick zum Opfer fiel - auch wenn es bei dem Betrug um die Tochter der beiden ging. Das Urteil überrascht wenig. Daher sei nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in solchen Fällen Kontrolle immer noch mehr zählt als Vertrauen und schon ein absichernder Anruf beim angeblich in Not befindlichen Nachwuchs vor Schaden schützen kann.
Ein Ehepaar hatte im Herbsturlaub 2023 eine Textnachricht von einer unbekannten Rufnummer erhalten. Der Absender gab sich als deren Tochter aus und bat darum, über WhatsApp über eine neue Handynummer Kontakt aufzunehmen. Bei dem darauffolgenden Chat glaubte das Paar fest daran, mit seiner Tochter in Kontakt zu sein. Auf Frage teilten sie daraufhin die Zugangsdaten für das von ihnen genutzte Onlinebanking mit und gaben schließlich zwei Echtzeitüberweisungen von insgesamt rund 6.000 EUR über die auf ihrem Handy installierte Photo-Tan-App frei. Dann kamen dem Ehepaar Bedenken und nach einer Kontaktaufnahme mit der Tochter erkannte es die Täuschung. 20 Minuten nach der Freigabe der Zahlungen informierte es bereits den Kundenservice seiner Bank und ließ das Konto sperren. Trotzdem wurden die Beträge zwei Tage später vom Girokonto abgebucht. Die Bank meinte, es sei nicht mehr möglich gewesen, die Vorgänge zu stoppen. Deshalb lehnte sie eine Rückerstattung ab, woraufhin das Ehepaar klagte.
Das LG wies die Klage ab. Wer auf Betrüger hereinfällt und im Onlineverfahren eine Echtzeitüberweisung freigibt, kann nicht darauf hoffen, dass die Bank den Schaden ersetzt. Dies gilt selbst dann, wenn schon Minuten später der Schwindel bemerkt und über den Kundenservice das Konto gesperrt wird. Ein Widerruf bei Echtzeitüberweisungen ist nur bis zum Zugang der Freigabe bei der Bank möglich. Die Tatsache, dass die Abbuchung erst zwei Tage später erfolgt ist, änderte nichts am Ergebnis. Es war zwischen dem Geldausgang, der schon wenige Sekunden nach der Onlinefreigabe erfolgt war, und dem Zeitpunkt der Belastung des Kontos zu unterscheiden.
Hinweis: Bestenfalls fallen Betroffene nicht auf einen Betrüger herein. Bei jeder Überweisung sollte nochmals genau nachgedacht werden, ob wirklich alles mit rechten Dingen zugeht.
Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 24.10.2024 - 7 O 154/24
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(aus: Ausgabe 03/2025)
Wer in Sachen Fluggastrechte meint, es wären alle Fragen beantwortet, irrt. Denn immer wieder müssen neue Konstellationen rechtlich auf EU-Konformität geprüft werden. Im Folgenden war zu klären, ob eine Verlegung eines Flugs von mehr als 24 Stunden einer Annullierung gleichkommt. Die Antwort gab das Amtsgericht Köln (AG).
Es ging um eine insgesamt sechsköpfige Reisegruppe, die am 27.01.2022 nach Barcelona fliegen wollte. Der Flug sollte planmäßig um 17:15 Uhr lokaler Zeit starten und das Ziel um 19:25 Uhr lokaler Zeit erreichen. Allerdings startete das Flugzeug erst am Abend des 28.01.2022. Die Änderung der Flugzeiten nahm die Fluggesellschaft bereits im Dezember vor. Drei Personen wurden sodann am 28.01.2022 nach Barcelona befördert, ihre Ankunft lag bei 23:49 Uhr lokaler Zeit. Die anderen drei traten den Flug schon gar nicht mehr an. Alle sechs verlangten nun eine Entschädigung.
Nach Auffassung des AG liegt bei einer Verlegung eines Flugs um mehr als 24 Stunden eine Annullierung vor. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verhält sich ausdrücklich nur zu einer Verlegung um weniger als drei Stunden und lässt nicht den Schluss zu, dass eine Annullierung auszuschließen sei, wenn ein Flug unter Beibehaltung von Flugnummer und Flugroute auf einen späteren Zeitpunkt verlegt wird. Daher ging das Kölner Gericht bei einer Verlegung eines Flugs um mehr als 24 Stunden vor einer Annullierung aus - die klagenden Passagiere erhielten jeweils 250 EUR.
Hinweis: Hat ein Flug eine Verspätung von mehr als drei Stunden, spricht viel dafür, dass ein Anspruch auf eine Entschädigung besteht. Der Entschädigungsanspruch verjährt in drei Jahren.
Quelle: AG Köln, Urt. v. 14.11.2024 - 126 C 405/24
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(aus: Ausgabe 03/2025)
Dass Geschäftsleute Geld investieren, das noch nicht auf dem Konto verbucht ist, mag einleuchten - vor allem, wenn die eigenen Rechtsanwälte vorgeben, dass eine beträchtliche Summe quasi auf dem Weg sei. So beunruhigend es sein mag, dass eine als so integer angesehene Berufsgruppe sich offensichtlich vollkommen falsch verhalten kann, so beruhigend eindeutig fiel dann aber das Urteil des Landgerichts Oldenburg (LG) gegen die Sozietät zweier Anwälte aus.
Die beiden Rechtsanwälte hatten angeblich einen Rechtsstreit zu Regressforderungen gewonnen und der Mandantin, einer Geschäftsführerin einer GmbH & Co. KG, mitgeteilt, dass sie in einer Abmahnsache ein Urteil über 1.200.000 EUR zuzüglich Zinsen gegen eine Gesellschaft erwirkt hätten. Das entsprach jedoch nicht der Wahrheit. Vielmehr war die Klage abgewiesen worden, nachdem für die Gesellschaft im Verhandlungstermin kein Antrag gestellt worden war. Somit war die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen worden. Die Geschäftsführerin und deren Ehemann erwarteten also im falschen Glauben eine größere Summe Geld, mit der sie sich einen Lebenstraum durch Kauf eines Hauses erfüllen wollten - sie schlossen einen Grundstückskaufvertrag über 429.000 EUR ab. Die besagten Rechtsanwälte wurden hier beratend tätig, vertrösteten in der Folgezeit die Geschäftsführerin immer wieder mit Ausreden und behaupteten gar, dass ihr noch ein weiterer Schadensersatzanspruch von 500.000 EUR zustände. Als letztendlich der Grundstückskaufpreis nicht gezahlt wurde, trat die Verkäuferseite vom Grundstückskaufvertrag zurück und machte einen Schaden von 59.000 EUR geltend. Diese Summe verlangten die Gesellschafterin und der Ehemann verständlicherweise von den Rechtsanwälten ersetzt.
Das LG hat die gemeinsame Sozietät der Anwälte tatsächlich zur Zahlung in der geforderten Höhe verpflichtet, denn es bejahte aufgrund der Falschinformationen den Schadensersatzanspruch. Die Angelegenheit ist zwar noch nicht rechtskräftig, vieles spricht jedoch für die Richtigkeit der Entscheidung.
Hinweis: Rechtsanwälte sind Organe der Rechtspflege und genießen in der Regel großes Vertrauen. Wie es sich mit Menschen und ihren Schwächen aber immer wieder verhält, gibt wieder es auch manchmal Vertreter dieses Berufsstands, die vom rechten Weg abkommen. In aller Regel wird straffällig gewordenen Anwälten aber dann auch verboten, weiterhin als Anwalt tätig zu sein.
Quelle: LG Oldenburg, Urt. v. 26.11.2024 - 16 O 3043/23
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